REINBEK Bereits Anfang April machte das Krankenhaus Reinbek darauf aufmerksam, dass offenbar viele Notfallpatienten aus Angst vor einer möglichen Ansteckung mit dem Coronavirus starke Symptome aussitzen und weder zum Hausarzt noch in die Notaufnahme gehen.
„Eine oft lebensgefährliche Entscheidung“, sagt Prof. Dr. Tim Strate, Chefarzt der Chirurgischen Klinik am St. Adolf-Stift: „Nicht nur die Notfallpatienten, sondern auch die Patienten, deren für März oder April geplanten Operationen abgesagt wurden, um in den Krankenhäusern Kapazitäten für eine Infektionswelle freizuhalten, können mit einem Gefühl von Sicherheit wieder zu uns ins Krankenhaus kommen.“ Das St. Adolf-Stift ergreife alle Maßnahmen, damit sich Patienten im Krankenhaus nicht mit Covid-19 infizieren, oft sogar, bevor sie vom RKI oder der Landesregierung empfohlen oder vorgegeben würden.
Prof. Strate: „Das Herzstück aller Maßnahmen gegen eine Virenübertragung ist eine sehr großzügige Testung unserer Beschäftigten. Nur so können auch Infektionen bei Mitarbeitern, die keinerlei oder nur ganz milde Symptome haben, frühzeitig erkannt und die Betroffenen umgehend in Quarantäne geschickt werden.“ Bereits seit Anfang März wurden vorsorglich Mitarbeiter mit Erkältungssymptomen auf Sars-CoV-2 abgestrichen, auch wenn sie weder privat noch dienstlich Kontakt zu coronainfizierten Personen hatten; und alle Beschäftigten der Covid-Stationen inklusive Reinigungspersonal wurden wöchentlich abgestrichen. „Das reichte uns aber nicht: Seit Ostern ermöglichen wir allen Beschäftigten verdachtsunabhängig – also ohne Symptome und ohne Kontakt zu Covid-Patienten –, sich regelmäßig testen zu lassen. Mittlerweile machen fast 850 der rund 1100 Beschäftigten aus allen Arbeitsbereichen mit.“
Bei diesen wöchentlichen Untersuchungen sind in den ersten vier Wochen und rund 3.500 Tests zwei Mitarbeiter positiv auf Covid-19 getestet und sofort in Quarantäne geschickt worden. Bei 16 Mitarbeitern konnten Antikörper im Blut nachgewiesen werden. Strate: „Nur 0,16 % unserer Belegschaft hatte also zum Testzeitpunkt eine unentdeckte Infektion, und weniger als 2 % haben bislang Antikörper, die darauf hinweisen, dass sie eine Infektion durchgemacht haben. Da kann man auch Rückschlüsse auf die Allgemeinbevölkerung und die Dunkelziffer ziehen.“
Weil Strate eine große Wissenslücke über die tatsächliche Verbreitung des Virus in der Bevölkerung sieht, hat er eine Langzeitstudie entwickelt. Dr. Jonas Herzberg, Studienarzt für das Projekt, sagt: „Wir haben hier ideale Voraussetzungen über ein Jahr lang wirklich wöchentlich zu gucken: Wie entwickelt sich die Epidemie in Deutschland und insbesondere in einem Krankenhaus. Welche Auswirkungen hat etwa die Einführung oder die Lockerung von Beschränkungen. Denn letztlich sind wir hier ein Teil der Gesellschaft – mit Handwerkern, Köchen, Verwaltungsmitarbeitern, Reinigungskräften, Pflegekräften und Ärzten. Auch sie kaufen ein, haben Kinder, die wieder zur Schule gehen, oder lassen sich beim Friseur die Haare schneiden und setzen sich damit – wie alle anderen – einem gewissen Risiko aus.“