REINBEK Wie viele gebährende Frauen Susann Paul schon begleitete, hat sie nicht gezählt. Auch ihre eigene Enkeltochter Mia Charlotte erblickte vor neun Monaten mit ihrer Hilfe das Licht der Welt. Die 59-Jährige ist seit 33 Jahren Hebamme und seit fünf Jahren für die Leitung des Kreißsaals im Krankenhaus Reinbek St. Adolf Stift verantwortlich. Sie erzählt, wie Väter die Geburten ihrer Kinder aktuell erleben.
„Jede Geburt ist in ihrem Verlauf einzigartig“, weiß die erfahrene Geburtshelferin. Die Corona-Pandemie habe jedoch an ihren Beruf wie auch an die jungen Familien besondere Anforderungen gestellt. Neben zusätzlichen Hygienemaßnahmen, ständigen Testungen und dem Arbeiten mit medizinischer Maske, wären sie mit veränderten Bedürfnissen, Unsicherheiten und Ängsten konfrontiert. „Wir müssen vieles auffangen“, sagt sie. Dazu gehöre ebenso eine größere Unsicherheit der Männer vor und während der Geburt. „Viele emotionale Momente können die werdenden Väter nicht hautnah miterleben“, berichtet Susann Paul. Weil keine Begleitung bei den Frauenärzten möglich ist, verpassen sie die ersten Herztöne oder den Ultraschall, bei dem auch das Geschlecht ermittelt werden kann. Den jungen Eltern fehle dieses gemeinsame Erleben, auch bei Geburtsvorbereitungskursen. „Einige Kolleginnen haben Online-Kurse zur Geburtsvorbereitung angeboten“, weiß Susann Paul. Doch das sei nicht das Selbe. Ebenso gibt es im Krankenhaus strengere Regeln. In den Kreißsaal dürfen Männer die werdende Mutter erst ab dem Zeitpunkt regelmäßiger Geburtswehen begleiten. Mit der Verlegung von Mutter und Kind auf die Wochenbettstation mussten sie auf dem Höhepunkt der Pandemie nach Hause gehen. „Ich habe einige Männer beim Abschied weinen sehen“, berichtet die Hebamme. Das habe sie sehr berührt.
Seit Ende April bietet die Klinik nun wieder Familienzimmer oder tägliche Besuchszeiten für die Väter an. Geschwisterkinder und weitere Familienangehörige dürfen nicht für einen Besuch ins Krankenhaus kommen. Diese Regelung habe jedoch auch positive Aspekte. „Statt Geschäftigkeit herrscht eine viel ruhigere und geborgene Atmosphäre in der Abteilung“, sagt Susann Paul. Die Paare bekämen so die Möglichkeit, nahezu ungestört in die neue Lebenssituation hineinzuwachsen. „Ich beobachte oft eine innigere Stillbeziehung und einen intensiveren Aufbau der wichtigen Bindung zwischen Eltern und Neugeboren.“