EIMSBÜTTEL Das Werbeschild fällt sofort ins Auge. Ein riesiges Ohr ist darauf abgebildet, darunter steht: „Ich höre Ihnen zu.“ Zu finden ist dieser ungewöhnliche Slogan an einem kleinen Kiosk zwischen den Gleisen der U-Bahnstation Emilienstraße in Eimsbüttel.
Dort werden nicht Snacks, Zeitungen und Zigaretten verkauft, sondern gratis Aufmerksamkeit, Geduld und Verständnis Menschen geschenkt, die sonst vielleicht niemanden haben, der ihnen zuhört. Ein Angebot, dass der Drehbuchautor Christoph Busch (76) seit fünfeinhalb Jahren seiner „Kundschaft“ macht. Und das so ausgefallen ist, dass inzwischen sogar überregionale Top-Medien wie Spiegel, Stern, Zeit oder die FAZ darüber berichten.
„Eigentlich wollte ich dort nur neue Geschichten sammeln und schreiben“, so Busch, der den Kiosk Ende 2017 für knapp 300 Euro monatlich mietete. Doch es kam ganz anders. „Meine Idee stieß auf große Begeisterung, schon nach einigen Tagen ließ ich den Laptop zuhause und hörte nur noch zu.“ Der Ansturm war so groß, dass sich Busch Mitstreiter ins Boot holte, heute sind sie ein Team von bis zu 20 Leuten, die Montags bis Freitags zwischen 12 und 18 Uhr den Geschichten der unterschiedlichsten Menschen lauschen – und manchmal auch Ratschläge geben. Busch: „Glückliche und bunte Geschichten, aber auch traurige.“
Eine seiner Mitstreiterinnen ist Annette Kühnert. Die 59-Jährige war früher leitende IT-Mitarbeiterin beim „Spiegel“, inzwischen ist sie im Vorruhestand und oft „ganz Ohr“ für die Probleme, aber auch die Freude anderer, wildfremder Menschen. „Hierher kommen Leute, die einfach etwas los werden wollen. Manchmal, weil sie einsam sind und sonst vielleicht niemanden haben. Oft aber auch, weil sie sich ihrem sonstigen privaten Umfeld nicht anvertrauen wollen oder können. „Wir hören zu, bewerten aber nicht.“ Annette Kühnert hört zu, gibt vielleicht auch mal einen Ratschlag, aber weiterreichende Hilfe kann und will sie nicht leisten. „Niemand von uns ist Therapeut oder Psychologe mit entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten. Das bringen wir auch ganz klar zum Ausdruck.“
Spezielle, soziale Hintergründe sind bei der Klientel übrigens nicht auszumachen: „Zu uns kommen Menschen aus allen Schichten“, so Annette Kühnert. „Ich wollte mich schon immer mit der Rolle des Zuhörers auseinandersetzen. Hier habe ich Sachen gehört und Dinge über Berufe erfahren, von denen ich bisher nicht die geringste Ahnung hatte – aber auch völlig neue Einblicke in düstere Dinge wie Drogen und Gewalt bekommen.“
Gründer Christoph Busch ist mit der Entwicklung seines Projektes ziemlich glücklich. Kaum verwunderlich, dass die Idee auch anderswo funktioniert – Zuhör-Kioske gibt es inzwischen auch in Neustadt/Holstein, aber auch in Berlin, München und Basel. Wer hätte das vor fünf Jahren wohl gedacht…