11. Mai 2023
Bahrenfeld

„Von der Sozialutopie zur gebauten Wirklichkeit“

Die Steenkamp-Siedlung ist ein Meisterstück der Stadtentwicklung – ein Heft schildert ihre Geschichte

Grotenkamp-Ecke Osdorfer Weg Anfang der 20er-Jahre

BAHRENFELD Wenn eine Siedlung während der Zeit ihrer Entstehung, aber auch ein Jahrhundert nach ihrer Fertigstellung begehrten Wohnraum bietet, dann muss sie etwas Besonderes sein. Um es vorweg zu nehmen: ja, sie ist es! Warum, das erläutert der Architekt Olaf Bley in seinem Beitrag „Von der Sozialutopie zur gebauten Wirklichkeit“. Darin erläutert es, dass es Ziel der Vordenker der um das Jahr 1910 aufkeimenden Gartenstadtbewegung war, „in gemeinnütziger Weise für minderbemittelte Volkskreise Einfamilienhäuser zu schaffen“.

Die Idee zündete. Und so entstand im Stadtteil Bahrenfeld der damals selbstständigen Stadt Altona in der Nähe des S-Bahnhofs Othmarschen eine Siedlung, deren Strahlkraft bis heute ungebrochen ist. In Altona waren die Voraussetzungen für einen Wandel gut: Es gab ausreichend Flächen in städtischem Besitz, den politischen Willen, dem Elend in den beengten Wohnquartieren entgegenzutreten, leistete Altona einen wichtigen Beitrag zur Reihenhaushaussiedlung – „jener Alternative zum Geschosswohnungsbau, die die Siedlungsbewegung vor und nach dem Ersten Weltkrieg propagierte“, so der renommierte Kunsthistoriker Hermann Hipp. Als Vorbild dienten die englischen Gartenstädte mit ihren lichtdurchfluteten Häusern mit Garten, der dem Anbau von Obst und Gemüse diente.

Heute wird in der Hansestadt Wohnungsknappheit beklagt, nach dem Ersten Weltkrieg herrschte pure Wohnungsnot. Und die betraf vor allem sozial schwächer gestellte Menschen, die oft in Familienverbänden zur Untermiete lebten oder in unbeheizten Wohnungen hausten, bisweilen auf nicht isolierten Dachböden. Wer nicht zu den Wohlhabenden gehörte, litt unter extrem engen und unhygienischen Wohnverhältnissen. In dieser Situation galt der von 1914 bis 1926 realisierte Bau der Steenkamp-Siedlung in der damals selbstständigen Stadt Altona als wegweisend.

„Häuser und Wohnungen mit Tageslicht und in anständigem Standard – das kannten bis dahin nur wenige Begüterte“, sagte die ehemalige Hamburger Stadtentwicklungssenatorin Dr. Dorothee Stapelfeldt anlässlich des 100-Jahr-Feier der Heimstättervereinigung 2020. Diese war 1920 für alle Siedler gegründet worden. Ein wesentliches Merkmal des Heimstätten-Konzepts war die Verantwortlichkeit jedes Mieters für die Instandhaltung seines Hauses. Im Gegenzug erhielt er ein vererbbares Mietverhältnis.

Der Steenkamp sei neben Hellerau und Staaken in Berlin eines von drei großen Projekte, die den Siedlungsbau eingeleitet haben“, konstatierte Gustav Oelsner, der als Altonaer Bausenator seit 1924 die Stadtentwicklung maßgeblich mitbestimmt hatte. In wirtschaftlich schwierigsten Zeiten gelang es in Altona, von 1914 und 1926 eine architektonisch gelungene Gartenstadtsiedlung zu schaffen. 670 Einfamilienhäuser – die meisten als Reihenhäuser – mit Gärten und Stallungen entstanden ergänzt durch Gemeinschaftseinrichtungen, kleinere Läden und ein Kaufhaus.

Doch der Zahn der Zeit nagte irgendwann an der Siedlung. Ende des 20. Jahrhunderts waren die Schäden an den Einfachbauten unübersehbar. Die städtische SAGA verkaufte rund zwei Drittel der Wohnungen, weil deren Sanierung unwirtschaftlich erschien. Für einige Objekte in der begehrten Siedlung mit 2.500 Bewohnern wurden bisweilen Phantasiepreise aufgerufen. Eine 114 Quadratmeter wechselte für 698.000 Euro den Eigentümer – zuzüglich 87.878 Euro „Nebenkosten“! Dass die SAGA die Erstellung des vorliegenden Hefts finanziell unterstützt hat, darf durchaus als kleine Wiedergutmachung für die unsinnige Privatisierung kommunalen Wohnraums interpretiert werden.

Olaf Bey, Sebastian Buchholz: die Steenkampsiedlung – eine gelebte Utopie, schaff Verlag, Hamburg 2023, hamburger bauheft 40 62 Seiten, 12 Euro

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