LOHBRÜGGE Dass die 22-Jährige eine Bürgschaft unterschreibt, damit sich der neue Freund einen Ferrari kaufen kann, sei eher eine Ausnahme. Aber ja, seltsame Dinge erleben die Mitarbeiter der Schuldnerberatung der „Hamburger Arbeit“ am Sander Markt 12 in Lohbrügge immer wieder.
Da werden Schulden angehäuft, um Drogen und Sexspielzeug zu kaufen, die Designer-Tasche oder ein edles Fernrohr. „Das ist sinnloses Shoppen, viele Klienten sind ehemals Spiel- oder Kaufsüchtige“, sagt Rita Jeske, die mit ihrem Kollegen, dem Juristen Fried Johann Baum, meist hilflose und verzweifelte Menschen berät.
Die Zahlen explodieren bei den Beratern, die derzeit eine lange Wartezeit ankündigen. Aktuell stehen 246 Personen auf der Warteliste. „Die Sozialbehörde gibt 90 Tage vor, aber wir liegen aktuell bei 120 Tagen“, sagt Jeske. Die wenigsten haben einen Computer und können Online-Beratungen annehmen.
Zu 67,3 Prozent seien es Sozialhilfe-Empfänger, die Hilfe suchen. Im Durchschnitt haben die Menschen 18.850 Euro Schulden bei 17 Gläubigern – darunter auch zahlreiche Versandhäuser.
In diesem Jahr baten bei Erstgesprächen 108 Männer und 128 Frauen um Hilfe. „Es ist schon erstaunlich, dass so viele Frauen dabei sind; die meisten sind alleinerziehend“, sagt Baum, der weiß, dass ein Teilzeitjob im Restaurant oft nicht ausreicht, dass das Geld knapp wird, wenn Arbeitslose keinen Unterhaltsvorschuss mehr bekommen, sobald die Kinder zwölf Jahre alt sind. Da stecken viele den Kopf in den Sand – und suchen erst sehr spät Hilfe. Die meisten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, die zweitgrößte Gruppe ist zwischen 40 und 50 Jahre. Auf ihrer Liste stehen etwa Kindergeld-Überzahlungen, da der Nachwuchs längst die Ausbildung beendet hat, oder auch ALG-Rückforderungen, da der 450-Euro-Job angerechnet wird.
„Es staut sich jetzt, aber das Verfahren ist immer gleich“, erklärt Schuldenberaterin Jeske das Prozedere: Unter Telefon 040/428 68 44 55 sollte man sich für eine Beratung anmelden (bitte auch auf die Mailbox sprechen), dann folgt eine Einladung zur einstündigen Info-Beratung. Erst wenn dann alle Unterlagen sortiert sind, folgt eine persönliche Beratung. Aber „die ganz große Welle rollt noch an“, sind sich die Berater einig – mit Blick auf die Energiekrise. „Das wird ab 2023 richtig problematisch“.