16. September 2020
Fuhlsbüttel

Auf den Spuren ihres Großvaters

Späte Ehrung eines ermordeten Widerstandskämpfers. Buch erscheint bald

Buch

Beate Wellhausen sitzt in ihrem Garten und blättert in ihrem Buch über Großvater Ludwig Fotos: jae

FUHLSBÜTTEL Beate Wellhausen (69) sitzt im Garten hinter ihrem Haus und genießt die Mittagssonne. Die pensionierte Sport- und Bewegungswissenschaftlerin blättert in einem 64-Seiten-Büchlein, das sie selber geschrieben hat. Der Titel: „Ludwig Wellhausen – Sozialdemokrat im Widerstand“. Das Buch mit vielen Privatfotos erschien im 3. Quartal 2020 bei Edition Alster in 2. erweiterter Auflage.

Ihren Großvater, einen gelernten Maschinenbauer, hat sie nicht gekannt. Als sie geboren wurde, war er schon seit zehn Jahren tot. Im Januar 1939 wurde der gebürtige Hannoveraner, der seit 1933 in Magdeburg lebte, mit 19 anderen Widerstandskämpfern als mutmaßlicher „Landesverräter“ festgenommen und ins Polizeigefängnis eingeliefert. Wenig später wurde der ehemalige Hamburger SPD-Parteisekretär ohne Gerichtsverfahren wegen „Verdachts auf Hochverrat“ ins Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg überführt und Anfang Januar 1940 von den Nazi-Schergen ermordet.

Zufallsfund

„Mutter und Großmutter haben nur wenig über Opas Widerstandstätigkeit in der NS-Zeit und über seine späteren Gefängnis- und KZ-Aufenthalte berichtet“, klagt die ehemalige Hamburger Weitsprung- und Speerwurf-Juniorenmeisterin. Es war reiner Zufall, dass Beate Wellhausen doch noch einiges erfuhr: „Eines Tages stöberte ich im Keller unseres Hauses herum und fand hinten in einer Ecke eine verstaubte Kiste. Sie war voll mit alten Briefen und Dokumenten meines Großvaters.“

In der Kiste fand sie auch eine DIN-A5-Postkarte mit dem letzten Lebenszeichen des KZ-Häftlings, Nr. 1268 Block 25, KZ Sachsenhausen, datiert vom Heiligabend 1939. Auf der Karte an seine Frau Margarethe stand: „Ihr Lieben. Während Ihr unter dem Lichterbaum sitzt und meiner gedenkt, schreibe ich Euch diese Zeilen zum Zeichen, dass wir so in Gedanken vereint sind.“

Die Wiedervereinigung mit der Familie war sein sehnlichster Wunsch. Doch der erfüllte sich nicht: Am 4. Januar 1940 starb Ludwig Wellhausen im KZ Sachsenhausen. Selbst ein Brief an Reichsmarschall Hermann Göring half nicht. Gestapochef Helmuth Dannel unterzeichnete den Brief an Margarethe Wellhausen: „Ihr Ehemann Ludwig starb nach dreitägiger Krankheit an Asthma im hiesigen Lager und wurde auf Staatskosten eingeäschert.“ In Wahrheit hatte er nie an Asthma gelitten.

Drei Stolpersteine

Der Kistenfund brachte Enkeltochter Beate auf die Idee: „Ich recherchiere weiter und schreibe ein Buch über meinen Großvater. Vieles ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erzählt worden oder sollte für immer ein Geheimnis bleiben. Ich will aber nicht, dass mein Opa vergessen wird. Ende Dezember 2019 wurden in Deutschland 419.000 SPD-Mitglieder registriert. Vielleicht möchten diese ihn durch mein Buch etwas näher kennenlernen.“

Dann deutet Beate Wellhausen auf eine vor der Haustür in den Steinfußboden eingelassene quadratische Messingtafel mit dem Namen ihres Großvaters. „Das ist ein Stolperstein“, sagt sie. Einer von 75.000 Steinen, die der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 1995 vorwiegend in Bürgersteige eingelassen hat. Die Gedenksteine sollen an Opfer der NS-Gewaltherrschaft vor deren früheren Wohnorten erinnern. In Magdeburg gibt es einen zweiten „Stolperstein“ für Ludwig Wellhausen, und vor dem Kurt-Schumacher-Haus der SPD in Hamburg eine dritte Gedenktafel. In Europa sind es nur wenige Menschen, derer mit drei Stolpersteinen gedacht wird.

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