20. März 2021
Ausgabe Jenfeld

Kleine Lektionen auf Mandarin

Saseler Musik-Professor mit riesigem Publikum

Prof. Andreas Stier: Klavier-Übungen für ein Welt-Publikum Foto: tel

Hamburg Ein grauhariger, dennoch jugendlich wirkender Mann sitzt an einem schwarzen Flügel, im Hintergrund ein Fenster und eine Bücherwand. Er spricht sanft, melodisch und einfühlsam in eine Kamera. Ich verstehe erst mal gar nichts, nur ab und zu das Wort „Beethoven“.

Kein Wunder: Hier spricht der Saseler Prof. Andreas Stier (68) auf Hochchinesisch (Mandarin) zu seinem Internet-Publikum, das ihn als „Teacher Andy“ kennt. Teacher Andy hat sich in einem Jahr zu einem Renner auf YouTube gemausert mit mehr als 100.000 Abonnenten. Jede Woche lädt der gebürtige Hannoveraner, der schon als Austausch-Schüler nach Südkorea kam und später jahrelang auf Taiwan lebte und studierte, ein neues Lernvideo hoch.

Besonders die chinesische Jugend scheint ganz verrückt nach den Lektionen des deutschen Musik-Professors zu sein, der einst von einer für ihn selbst unerklärlichen Asien-Faszination gepackt wurde, in einem Taiwaner Jugendorchester vor bald 40 Jahren seine spätere Ehefrau kennenlernte und heute an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater lehrt. Ein Europäer, der ihre Sprache ziemlich perfekt beherrscht und ihnen anhand von „leichten Stücken“ europäische Musikkultur nahebringt – das ist wohl auch im Zeitalter des Internets noch einmalig und faszinierend für das überwiegend in Asien beheimatete Publikum. Dabei versucht Stier immer wieder europäische mit asiatischer Kultur zu verbinden, zum Beispiel ein kleines Stück von Debussy mit Assoziationen eines chinesischen Gedichts. Seine Musik-Philosophie – „es muss nicht perfekt sein, aber immer mit Gefühl“ – bringt er erfolgreich rüber.

Ohne Leistungsdruck

Vor allem bietet er etwas, was wohl die meisten seiner fernen Klavier-Eleven bislang vermissten: Klavier üben ohne Leistungsdruck. Dieses Erfolgsrezept, zunächst auf das taiwanesisches Publikum angewandt, zündete zu seinem großen Erstaunen sogar in der Volksrepublik, wo Prof. Stier – staatlich genehmigt – inzwischen einen eigenen YouTube-Kanal bespielt. In einem Jahr hat Teacher Andy mit technischer und logistischer Unterstützung seiner Söhne rund 60 Video-Lektionen bei YouTube untergebracht, mit Stücken beispielsweise von Brahms, Beethoven, Bach, Mozart, Chopin und Debussy. Es geht dabei nicht nur um die Musik. Stier stellt den jeweiligen Komponisten kurz vor und erklärt das Stück auch im Kontext der jeweiligen Zeit, bevor er selbst in die Tasten greift.

In Specials hat er auch schon mal den Zuschauern seinen Saseler Garten präsentiert und sie an seinen geliebten Tee-Zeremonien teilhaben lassen. „Ich will etwas von der ungeheuren Gastfreudschaft zurückgeben, die ich über Jahre in Asien erfahren habe. Geld verdienen kann man damit nicht. Für mich sind die vielen positiven Reaktionen bereits Belohnung genug“, gibt sich Stier bescheiden. Der Hamburger Klavier-Professor mit seinem riesigen Publikum – in der Heimat kennt ihn kaum jemand. Das könnte sich aber bald ändern, denn seine Klavier-Lektionen sollen demnächst auch englisch untertitelt werden.

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