HAMBURG Die Hansestadt hat gerade einen Preis für Nachhaltigkeit erhalten und verfolgt ambitionierte Ziele mit vielen Umwelt- und Klimaprojekten. Das Hamburger Wochenblatt sprach mit Senator Jens Kerstan und fragte nach.
WB: Welches der vielen Projekte ist das Zugpferd für die Energiewende?
Jens Kerstan: Wasserstoff und Wärmewende, das sind vielleicht die zwei ganz großen Themen, an denen wir arbeiten. Das eine Zugpferd bei der Energiewende gibt es aber nicht. Der größte Teil der Energie wird nicht als Strom verbraucht, sondern zum Heizen und für Treibstoffe für Flugzeuge und Autos. Wir schauen deshalb nicht nur auf die Stromproduktion und haben viele spannende Projekte und Baustellen, an denen wir arbeiten. Der Ersatz für die Kohleproduktion aus den Kraftwerken Wedel und Tiefstack und die Nachnutzung am Standort Moorburg sind vielleicht die größten.
WB: Beeinflusst die Pandemie die Energieprojekte?
JK: Nein, die städtischen Energieunternehmen in Hamburg arbeiten verlässlich und ohne Abstriche für die Daseinsfürsorge der Stadt. Mit dem Rückkauf der Energienetze haben wir die Grundlage für eine aktive Klima- und Energiepolitik gelegt, und daran arbeiten wir mit Hochdruck – trotz Corona. Ich glaube sogar an einen positiven Schub für Energiewende, Klimaschutz und Nachhaltigkeit durch diese Krise.
WB: Wie kann Hamburg trotz Bauboom die grüne Stadt am Wasser bleiben?
JK: Hamburg ist eine außerordentlich grüne Metropole, das ist ein riesiges Plus für die Lebensqualität – und soll es auch bleiben. Mit der Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ haben wir eine Garantie für die Qualität des Grüns vereinbart. Mitte April hat Hamburg den renommierten Good Design Award für Nachhaltigkeit bekommen und darf sich ,Green City oft the Year 2021‘ nennen. Das ist eine schöne Anerkennung von außen und zeigt, dass wir in der richtigen Richtung unterwegs sind. Der Preis aus den USA wurde vor allem für die Architektur, die Nachhaltigkeit und – ja genau – auch für die Energiepolitik verliehen. Und da sind wir mit vielen Projekten in Hamburg Vorreiter. Beispiele sind die Wärmewende, Speichertechnologien, unsere Solardachoffensive mit der Photovoltaikpflicht aus dem Klimaschutzgesetz oder der verpflichtende Anteil von 15 Prozent an erneuerbaren Energien bei einem Heizungstausch, der ab Sommer gilt.
WB: Bis 2030 soll der Anteil der Kohlewärme in Hamburg auf null sein. Wie ist der aktuelle Stand?
JK: Das ist ehrgeizig, und wir wollen dieses Ziel am liebsten noch früher erreichen. Im ersten Schritt soll das alte Kohlekraftwerk in Wedel 2025 vom Netz gehen. Klimafreundliche Wärme aus überwiegend erneuerbaren und vorhandenen Quellen wie Abfall, industrieller Abwärme oder Wärmepumpen soll die Kohle ersetzen, um die westliche Stadt mit Fernwärme zu versorgen. Hinzu kommt ein riesiger Aquiferspeicher in einem alten Grundwasserleiter in 300 Meter Tiefe, der überschüssige Wärme im Sommerhalbjahr aufnimmt und im Winter wieder abgeben kann. Im zweiten Schritt soll das Kraftwerk Tiefstack ohne Kohle laufen – auch dort ist ein solcher Speicher geplant, wir reden über industrielle Abwärme, planen mit Müllverwertung und prüfen mit einem Begleitgremium den Einsatz alternativer Brennstoffe. Wir haben ein innovatives Konzept, betreten bei der Wärmewende Neuland – und wir liegen im Zeitplan.
WB: Hamburg und Schleswig-Holstein wollen mit der Norddeutschen Energiewende bis 2035 die Region zu
100 Prozent mit regenerativem Strom versorgen. Ist 2035 nicht zu spät?
JK: Im Verbund mit Schleswig-Holstein kann Hamburg sich bis 2035 komplett aus erneuerbaren Energien versorgen – hier spielt der Windstrom an Land und aus Windparks vor der Küste die Hauptrolle. Als Millionenstadt mit einem großen Hafen und viel Industrie verbrauchen wir viel Strom – einerseits. Dank einer starken erneuerbaren Energiewirtschaft im Nachbarbundesland und vieler innovativer Ansätze auch bei uns können wir trotzdem ohne Kohle und Atomstrom auskommen. Und: Na klar, je früher, desto besser. Um den Ausbau der Windenergie und der Erneuerbaren insgesamt zu beschleunigen, muss die Bundesregierung den Fuß von der Bremse nehmen. In Berlin wurden in den letzten Jahren immer wieder absurde Hürden aufgebaut, die den Ausbau und damit auch unsere Klimaziele gefährden.
WB: Für das Kraftwerk Moorburg hieß es ursprünglich Wasserstoff statt Kohle. Was hat es mit dem Studienauftrag für eine mögliche Erdgasumschaltung auf sich?
JK: Die Abschaltung von Moorburg ist das Ergebnis von langfristiger grüner Energiepolitik und ein Meilenstein für die Energiezukunft Hamburgs. Wir haben verhindert, dass Hamburg sich durch eine Auskopplung von Wärme jahrzehntelang an die Kohle bindet. Jetzt sind beide Blöcke abgeschaltet und wir planen dort für eine saubere Energiezukunft. Der Standort Moorburg ist ideal für eine fossilfreie Nachnutzung: Der Senat unterstützt die Pläne, dort grünen Wasserstoff im großen Maßstab zu erzeugen und gleichzeitig dort einen Green Energy Hub für klimafreundliche Energie aufzubauen. An dem Standort ist Platz für mehrere Anlagen. Der Studienauftrag für eine mögliche Gasumrüstung wurde erteilt, bevor Vattenfalls Pläne für eine Abschaltung bekannt waren.
WB: Was hat es mit einer besonderen Anlage für Elektrolyse im Hafen auf sich?
JK: Schon 2025 kann ein großer Elektrolyseur in Moorburg in Betrieb gehen, der Windstrom von der Küste in Wasserstoff umwandelt. Wir wollen die Produktion der Industrie dekarbonisieren, also die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden. Hier liegt ein großer Hebel zur Erreichung unserer Klimaziele. Der Energiebedarf der Industrie ist riesig, die Wasserstoffproduktion in Hamburg wird diesen nur zum Teil decken, wir werden auch über Import reden müssen. Das Gasleitungsnetz im Hafen und rund um Moorburg wird deshalb ab sofort von unserer städtischen Gasnetzgesellschaft ausgebaut für Wasserstoff. Der Startschuss in die Wasserstoffzukunft ist gefallen, Hamburg will und wird hier vorn dabei sein.