HAMBURG Eine Lunchbox mit Franzbrötchen wechselt den Besitzer. Eigentlich keine große Aktion. Trotzdem steckt viel mehr dahinter, als es zunächst den Anschein hat. Denn das Hamburger Kultgebäck wurde von Anna Frank „von Herzen“ gebacken und als symbolischer Willkommensgruß an Ahmed Zar überreicht, der 2015 aus Syrien in die Hansestadt kam.
Die kontaktlose Übergabe ist der kulinarische Kompromiss in Zeiten von Corona. Denn eigentlich läuft die europaweite Initiative „Welcome Dinner“ anders ab. Seit fast fünf Jahren gibt es diese Begegnungen auf Augenhöhe auch in Hamburg. Um Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe zusammenzubringen, um Vorurteile und Ängste abzubauen. „Hamburger und Zuwanderer können sich auf unserer Datenbank anmelden“, erklärt Nathalie Dins, die bei „Welcome Dinner“ die Essenspartner vermittelt und seit Corona den „Schmaustausch“ organisiert. „Gegeneinladungen sind keine Pflicht. Es geht darum, dass man dem Neu-Hamburger das Gefühl vermittelt, willkommen geheißen zu werden.“
Auf Nummer sicher
Da jetzt Abstand geboten ist, bringt „Welcome Dinner“ sogenannte „Schmaustausch“–Tandems zusammen, die nicht weit voneinander entfernt wohnen. Die erste Person befüllt eine Lunchbox mit Snacks oder Gebäck. Nach dem Verzehr bereitet der Empfänger wiederum seinen persönlichen Snack und bringt ihn in der Box zurück. Eigentlich sollte das Essen vor die Tür gestellt werden. Doch zu groß war die Neugier bei Ahmad (29) und Anna (30). Damit Annas Franzbrötchen den Besitzer wechseln konnten, machten für den nötigen Abstand beide ihren Arm lang.
Vor dem Austausch werden Allergien und Abneigungen abgeklärt. „Mit dem Gebäck wollte ich auf Nummer sicher gehen“, sagt die Doktorandin der Kunstgeschichte. Für sie ist es nicht die erste Begegnung mit einem Geflüchteten: „Bereits während der Flüchtlingskrise wollte ich helfen. Nicht nur am Anfang ein freundliches Hallo zu sagen, sondern auch langfristig Zeichen zu setzen; deshalb habe ich eine Zeit lang das Welcome-Dinner-Team ehrenamtlich unterstützt, musste dann aber wegen eines Städtewechsels aufhören. Jetzt hatte ich mich für ein Tandem angemeldet.“
Zusammen kochen
Drei Tage später überrascht Ahmad seine Tandempartnerin mit Mamul. „Die Kekse dürfen in Syrien auf keinem Fest fehlen“, sagt er. „Ich habe sie mit Walnuss, Datteln und Pistazien gefüllt.“
Als der Syrer in Hamburg eintraf, hatte er neben dem Rezept für Mamul auch seinen Bachelor in Architektur im Gepäck sowie den festen Vorsatz, sich zu integrieren und schnell Deutsch zu lernen. Bis zur Abschlussstufe C1 hat er es geschafft und spricht entsprechend fließend deutsch. Nun sucht er einen Job als Architekt. Als ein Freund zu einem Welcome Dinner eingeladen wurde, kam er als Dolmetscher mit. Danach bewarb sich Ahmad selbst.
„Wir haben es schon oft erlebt, dass sich aus den Begegnungen Freundschaften entwickeln“, sagt Nathalie Dins. Als Auftakt für einen Austausch, der irgendwann nicht nur auf kulinarischer Ebene weitergehen soll, betrachten auch Anna und Ahmad das Befüllen der Lunchbox. „Nach Corona werden wir auf jeden Fall mal zusammen kochen und ein paar Freunde dazu einladen.“
schmaustausch@welcome-dinner.de
