HAMBURG Ginge es nach dem Hamburger Vorsitzenden des Sozialverbandes SoVD, Klaus Wicher, dann nähme sich die Hansestadt ein Beispiel an München, das Rentnerinnen und Rentner „wegen der hohen Preise in der Stadt schon seit vielen Jahren einen Zuschuss zur Grundsicherung im Alter zahlt“. Im Wochenblatt-Interview erklärt er, weshalb er die staatlichen Entlastungen für ungerecht hält.
WB: Für wie gerecht halten Sie die „Entlastungspakete“, die die Regierung jetzt auf den Weg gebracht hat?
Klaus Wicher: Das Entlastungspaket zu den immer weiter steigenden Energiekosten bewerten wir als Sozialverband SoVD in Teilen positiv. Es wird viele Menschen von den extrem steigenden Energiepreisen kurzfristig entlasten, allerdings nur durch eine Einmalzahlung. Von der Energiepreispauschale profitieren all diejenigen, die steuerpflichtig sind, auch die, die sowieso schon über ein gutes Einkommen verfügen. Das führt aus meiner Sicht zu weiteren sozialen Verwerfungen. Zudem muss dieses Geld versteuert werden, wer wenig Einkommen hat, wird auch wenig davon haben.
Leistungsbeziehende, wie etwa Hartz-4- und Grundsicherungsempfänger werden ebenfalls eine Einmalzahlung erhalten, 200 Euro werden sie vom Staat zusätzlich pro Person bekommen. Dies ist viel zu kurz gedacht: Angesichts der hohen Preise wird diese einmalige Zahlung sehr schnell verpuffen. Insofern empfinde ich das Entlastungspaket als einen Anfang, aber nicht als die Lösung des Problems.
WB: Wer wird aus Ihrer Sicht besonders benachteiligt?
KW: Vor allem sind diejenigen, die sowieso schon wenig haben, am meisten betroffen. In Hamburg sind viele Renten sehr klein, etwa 53 Prozent aller Senior/-innen in der Hansestadt haben Altersbezüge, die maximal 1.000 Euro im Monat ausmachen. Sie sind, wenn sie keine weiteren Einkünfte haben, nicht steuerpflichtig und profitieren deshalb überhaupt nicht vom Entlastungspaket – bis auf das Neun-Euro-Ticket bleiben sie komplett außen vor.
Nicht viel besser geht es den Grundsicherungs- und Hartz-IV-Empfängern sowie den Student/-innen. Gerade in Hamburg sind die Preise noch höher als anderswo, hier haben arme Menschen noch weniger von ihrem Geld. Ich befürchte, dass auf diese Menschen ein kalter Winter zukommt, weil Wärme und Heizenergie immer teurer werden. Wir sehen diese Entwicklung mit Sorge, denn bei den Tafeln, aber auch in unserem Sozialkaufhaus Cappello am Osdorfer Born werden die Schlangen immer länger, die Not wird sichtbar immer größer.
WB: Welche alternativen Hilfen schlagen Sie vor?
KW: Die vorgesehenen Hilfen müssen zielgerichteter werden. Vor allem müssen die Rentner/-innen und Student/-innen mit niedrigem Einkommen ebenfalls etwas von der Energiepreispauschale abbekommen. Hamburg kann es sich leisten, dass Bedürftige mehr kostenlose Leistungen erhalten. Dazu gehört nicht ein Neun-Euro-Ticket, sondern die freie Fahrt im ÖPNV. Dies gilt auch für die kostenlose Nutzung von Sportstätten, Kultur und Freizeit. Wenn wir den sozialen Frieden bewahren wollen, brauchen wir eine deutliche Erhöhung der finanziellen Unterstützung der Ärmsten, um die größten Härten abzufedern.
Hier kann sich auch die Stadt Hamburg mit einer zusätzlichen Zahlung an Leistungsbezieher/-innen engagieren. Außerdem muss sich in Hamburg dringend das Beratungsangebot verbessern. Viele Menschen wissen gar nicht, was ihnen zusteht.
